Oliver Prigge beim „Unter-Tage-Marathon“

10.01.2006

Oliver Prigge beim „Unter-Tage-Marathon“


Smalltalk beim Ultralauf

Oliver Prigge aus Müsen lief „Unter-Tage-Marathon“ – um mit einem Kumpel zu plaudern
matz Müsen. Götz und Oliver haben sich mehrere Monate nicht mehr gesehen. Der eine wohnt in der Schweiz, der andere in Müsen. Nach so langer Zeit haben sich zwei Freunde naturgemäß viel zu erzählen. Doch anstatt sich bei einem der beiden zu treffen, wählten sie „neutrales Terrain“ für einen ausgiebigen Plausch. An sich nichts Besonderes. Hätten sie sich nicht einen „Unter-Tage-Marathon“ für ihr Gespräch ausgesucht. „Wir wollten mal wieder was richtig Verrücktes machen“, erzählte Oliver Prigge gegenüber der Siegener Zeitung. „Mein Kumpel Götz Gerresheim macht oft solche Aktionen, lief erst in diesem Jahr Transalpin-Marathon, eine Woche quer durch die Alpen.“ Da auch Prigge kein Kind von Traurigkeit ist – er ist Triathlet im „Ejot-Team Buschhütten“ und nimmt laufend an  Extremwettbewerben wie z. B. im vergangenen Jahr an der Qualifikation zur „Fulda Challenge“ (die SZ berichtete) –, machte er sich auf die Suche nach einer geeigneten Veranstaltung. Im Frühjahr wurde er fündig. Der „4. Unter-Tage-Marathon“ in einem Kali-Salzbergwerk im thüringischen Sondershausen, 55 km nördlich von Erfurt, Start am Samstag, 10. Dezember, um 10 Uhr. Die E-Mail an den gebürtigen Netphener Gerresheim ging raus, die Antwort kam postwendend: „Das ist ja cool. So etwas habe ich auch noch nicht gemacht. Melde uns an.“ Das ließ sich Prigge nicht zweimal sagen. „Wir haben uns früh angemeldet.“ Die Starterliste war auf 350 Athleten beschränkt. Man weiß ja nie. „Und die Startgebühr war günstig“, berichtete der Müsener. „Nur 40 Euro. Da war sogar ein T-Shirt dabei.“ T-Shirt. „Ja“, grinste er. „Ein ausgefallenes T-Shirt. Mit einem vom Köln- oder Berlin-Marathon reißt du keinen mehr vom Hocker.“ Man zeigt, was man schon unter die Sohlen gebracht hat. Der große Tag rückte näher. Oliver Prigge reiste schon am Freitagabend mitsamt Lebensgefährtin Nicole Stötzel an, Götz Gerresheim kam mit dem Nachtzug aus der Schweiz. Um 9 Uhr ging es mit dem Förderkorb runter. Runter auf 700 Meter unter der Erdoberfläche. „Das war aber noch nicht alles.“ Oliver Prigge hob die Augenbrauen. „Da waren noch rund 400 Höhenmeter dabei.“ Der Vorteil: Über Tage regierte der thüringische Winter, unter Tage herrschten beeindruckende 28 bis 33 C, bei 30 Prozent Luftfeuchtigkeit. Ob dieses Klima auch den Blechblasinstrumenten der Bergmannskapelle bekam, die die Läufer unter Tage empfing, ist nicht überliefert. Kurz nach 10 Uhr erfolgte der Start. Vorne weg Radfahrer, die den Läufern zeigten, wo es langging. Prigge: „In dem Bergwerk, das ohnehin nur spärlich beleuchtet war, gibt es ein Wegenetz von 300 km. Wenn sich da einer verläuft, kommt er so schnell nicht wieder nach oben.“ Mitten unter den Läufern radelten Sanitäter, hinter den 303 Startern Helfer als Besenwagen“. Mit den Schlussradlern machten die beiden Freunde schon bald Bekanntschaft. Prigge: „Wir waren letzte.“ Für sie ein völlig neues Erlebnis. „War eigentlich auch egal. Wir wollten uns ja unterhalten.“ Trotzdem hatten sie sich zum Ziel gesetzt, die Strecke komplett durchzulaufen, sich in jeder der vier 10,5 km langen Runden zu steigern. Davor stand jedoch erstmal eine Steigung. Kurz nach dem Start. „Bis zu 22 Prozent. Und das auf einer Länge von 2,5 km“, erinnerte sich der Müsener Athlet. Hier holten sie die ersten Läufer ein. Und hier war es auch, als sie registrierten, dass es sich um keinen normalen Marathon handeln könne. „Erst später wurde unsere Vermutung bestätigt: Es war wegen seiner Schwierigkeit ein Ultralauf!“ Auch für die Psyche sei der Lauf anstrengend gewesen. „Von der psychischen Belastung habe ich wenig Schwierigeres kennen gelernt“, sagte Prigge. „Da gab es vielleicht lange Geraden. Geraden, an denen kein Mensch stand.“ Bei einem normalen Marathon habe man wenigstens Zuschauer. „Aber in Sondershausen gab es außer der spärlichen Beleuchtung nichts. Daher hatten wir nie eine Ahnung, wo wir waren.“ Hin und wieder eine Verpflegungsstation und sonst nur das Geräusch der Schritte der anderen Läufer. „Da man aber nicht wusste, ob die vor oder hinter einem waren, war das auch nicht gerade einfach“, gab Prigge zu. „Es war einfach ein sehr monotones Laufen. Hat mir persönlich aber was für meine Psyche für andere Läufe gebracht.“ Derjenige, der die Strapazen am besten überwand und als erster die Ziellinie überquerte, schaffte die Strecke in 3 Stunden und 10 Minuten. „Ein 54-Jähriger mit Herzschrittmacher“, schüttelte Oliver Prigge den Kopf. Er und Götz Gerresheim brauchten 1 Stunde und 20 Minuten länger, wurden 97. und 98., blieben weit hinter ihren Möglichkeiten. Aber das war auch zweitrangig. Denn die beiden haben ihr persönliches Ziel erreicht:
„Es war ein super Wochenende. Und wir haben uns mal wieder so richtig nett unterhalten!“

Bericht Siegener Zeitung vom 17.12.2005